Philosophische Überlegungen im Zeitalter von KI: Können Maschinen Emotionen haben?

von zassl
veröffentlicht am 24.10.2025 aktualisiert am 24.10.2025

Die Frage, was der Mensch wirklich ist, beschäftigt Philosophen seit jeher. Bereits Immanuel Kant und René Descartes setzten sich mit dieser Frage auseinander und versuchten darauf eine Antwort zu geben. Dabei zentrierten sich ihre Überlegungen insbesondere auf die Abgrenzung des Menschen zum Tier.

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Im Gegensatz zum Menschen sind Tiere weder vernunftfähig, noch können sie rational denken. Descartes sieht sie als „geistlose Automaten“, wodurch sie mit Maschinen auf eine Ebene gebracht werden. Ein weiteres Unterscheidungskriterium von Mensch und Tier ist zudem die Sprache. Lange hielt sich die Annahme, dass allein der Mensch die Fähigkeit zu sprechen besitzt und so seine Gedanken mit anderen teilen kann. In diesem Kontext wurden Maschinen als Übertragungsmedien oder Wiederholungsinstrumente betrachtet, die lediglich die Kommunikation zwischen den Menschen untereinander erleichtern. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen allerdings, dass einige Maschinen Intelligenz zu besitzen scheinen und mittlerweile auf eine Art und Weise kommunizieren können, die quasi nicht mehr von der eines Menschen zu unterschieden ist. Teilweise übersteigen Maschinen in Bereichen der Kommunikation jetzt schon menschliche Fähigkeiten, wodurch das Unterscheidungskriterium Sprache bzw. Kommunikation hinfällig wird.

Wenn Maschinen uns in kürzester Zeit auf diesem Gebiet ein- und sogar überholen konnten, liegt es nahe sich die Frage zu stellen, ob Maschinen dies auch in anderen Bereichen schaffen können. Werden sie in Zukunft in der Lage sein, emotionale Intelligenz zu entwickeln oder sind sie vielleicht jetzt schon dazu fähig? Können Maschinen Emotionen haben, die mit denen des Menschen gleichzusetzen sind und inwiefern erscheint es notwendig, die Frage, was ist der Mensch, in Abgrenzung zu Maschinen zu betrachten. Sollten Maschinen in die Debatte der Moralphilosophie aufgenommen werden und müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass Maschinen den Menschen auf emotionaler Ebene ebenbürtig werden könnten?

Um zu verstehen, ob eine Maschine Emotionen haben bzw. entwickeln kann, ist es sinnvoll erst einmal die Gegebenheiten menschlicher Emotionen zu betrachten. Was genau sind Emotionen, wie entstehen sie, durch was zeichnen sie sich aus, warum brauchen wir sie und sind Emotionen und Vernunft miteinander vereinbar?

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Lange Zeit hielt sich die Ansicht, dass Vernunft durch den Einfluss von Emotionen gestört wird. Tatsächlich können sich Emotionen und Empfindungen sowohl negativ als auch positiv auf die Vernunft auswirken. Emotionen bzw. Empfindungen sind wesentliche Ausdrucksformen von biologischen Regulationsmechanismen, aus deren Zusammenhang sich die Vernunft evolutionär entwickelt. So gesehen sind sie also Teil der Vernunft. Dass Emotionen eine rationale Entscheidung negativ beeinflussen können, muss hier nicht weiter erläutert werden. Allerdings zeigen neuere Erkenntnisse, dass das Fehlen von Emotionen sich ebenso schädlich auf die Rationalität auswirken kann. Beispielsweise helfen uns Emotionen dabei, uns in einen Entscheidungsraum zu lenken, in dem die Logik optimal genutzt werden kann oder sie unterstützen uns eine ungewisse Zukunft vorherzusehen, wodurch wir unser Handeln entsprechend planen können. Wir brauchen Emotionen also, um nach Vernunft handeln zu können.

In seinem Werk „Descartes‘ Irrtum“ beschreibt Antonio R. Damasio Emotionen und Empfindungen als Teil der Wirkungsweise bzw. einflussreiche Manifestation von Trieben und Instinkten. Diese wiederum tragen maßgeblich dazu bei, das Überleben des Individuums zu sichern. In diesem Sinne brauchen wir also Emotionen und Empfindungen, um zu überleben. In seinen Erläuterungen unterscheidet er primäre und sekundäre Emotionen.

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Primäre Emotionen sind angeboren und nicht steuerbar, sie entstehen im limbischen System insbesondere der Amygdala und bilden den Grundapparat an Emotionen. Ihr Vorläufer sind präorganisierte Gefühlsreaktionen, die durch bestimmte Reizmerkmale des Körpers oder der Außenwelt ausgelöst werden. Dazu zählen bspw. Geräusche, die Größe von Dingen oder Körperzustände wie Schmerz.

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Sekundäre Emotionen hingegen sind eine Erweiterung der primären Emotionen, über die insbesondere der Mensch verfügt. Sie entstehen durch Erfahrungen und die Tatsache, dass man sich seinen Emotionen bewusst ist. Im Gegensatz zu den primären Emotionen werden sie erst im Laufe des Lebens erworben und entstehen nicht nur im limbischen System, sondern durch Mitwirkung des präfrontalen und somatosensiblen Cortex.

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Versteht man eine Maschine nun als „Abfolge codierter Anweisungen, als Algorithmus, der auf beliebige Art implementiert und verkörpert werden kann“ (Gunkel 2007, S. 128), so lassen sich unter dem Begriff Maschine sowohl mechanische als auch biologische Systeme und Informationsverarbeitungsgeräte, wie z.B. Computer zusammenfassen. Das Entstehen menschlicher Emotionen ist in dieser Betrachtungsweise also eine Abfolge biologischer und biochemischer Prozesse. Anweisungen werden vom Gehirn an den Körper vermittelt und lösen so die entsprechende Emotion aus. Man könnte hier von einem Verarbeitungsprozess sprechen, welcher dem Verarbeitungsprozess von Computern bzw. Maschinen in gewisser Weise ähnelt.

Rosalind W. Picard stellt in ihrer Publikation „Affective Computing“ Überlegungen an, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, um sagen zu können, dass ein Computer über Emotionen verfügt. Ihrer Auffassung nach ist dies dann der Fall, wenn ein Computer über folgende fünf Komponenten verfügt, die in einem gesunden menschlichen Emotionssystem vorhanden sind.

  1. Das System zeigt ein Verhalten, das scheinbar auf Emotionen beruht.
  2. Das System reagiert schnell ”primär” emotional auf bestimmte Eingaben.
  3. Das System kann Emotionen kognitiv erzeugen, indem es über Situationen nachdenkt, insbesondere was die Ziele, Standards, Vorlieben und Erwartungen betrifft.
  4. Das System kann durch kognitives Bewusstsein, physiologisches Bewusstsein und subjektive Gefühle emotionale Erfahrungen machen.
  5. Die Emotionen des Systems interagieren mit anderen Prozessen, die menschliche kognitive und physische Funktionen nachahmen, beispielsweise:
    Gedächtnis, Wahrnehmung, Entscheidungsfindung, Lernen, Anliegen, Ziele, Motivationen, Aufmerksamkeit bzw. Interesse, Priorisierung, Planung, sentische Modulation (Stimmmodulation, Gesichtsausdruck, Körperhaltung etc.), Funktionen eines Immunsystems und Regulierungsmechanismen.

Allerdings bleibt hier unklar, ob ein Computer, der über diese Komponenten verfügt, Emotionen wirklich nachvollziehen und im menschlichen Sinne erleben kann oder ob er nur den Anschein erweckt Emotionen zu haben, da er sie täuschend echt simuliert.

Zum Kapitel springen Das Chinesische Zimmer

Dies verdeutlicht ein Gedankenexperiment des Philosophen John Searle - das Chinesische Zimmer. In diesem Gedankenexperiment befindet sich eine Person innerhalb und eine andere Person außerhalb eines Raumes. Durch einen Türschlitz werden der Person im Inneren Fragen in chinesischen Schriftzeichen gereicht, die diese mithilfe eines Regelwerks beantwortet, obwohl sie die chinesische Sprache nicht beherrscht. Dennoch geht die Person außerhalb des Raumes davon aus, dass die Person im Inneren die Sprache versteht, da die Fragen sinnvoll beantwortet wurden.

Chinesische Zimmer ><

Ähnlich verhält es sich mit einer Künstlichen Intelligenz, die scheinbar emotional reagiert. Sie hat gelernt, wie Menschen Emotionen ausdrücken und erkennen können, ohne dabei verstanden zu haben, was eine Emotion ist und wie Menschen diese erleben. Sie simuliert Emotionen auf eine Weise, die bei einem Menschen den Eindruck erweckt, sie würde tatsächlich über Emotionen verfügen.

Zum Kapitel springen Fazit

In erster Linie löst eine KI also vielmehr Emotionen bei uns aus, anstatt selbst Emotionen zu haben. Insofern sind wir von emotionaler Ebenbürtigkeit zwischen Mensch und Maschine sehr weit entfernt. Allerdings gerät durch den Anschein von Emotionen den eine KI erweckt, das menschliche Selbstverständnis in Gefahr, da der Eindruck entsteht, dass das genuin Menschliche nicht mehr allein dem Menschen vorbehalten ist. Daraus resultiert erneut die Frage, was genau der Mensch ist, was ihn ausmacht und wie er sich von anderen Dingen in der Welt unterscheidet. Folglich erscheint es sinnvoll auch Maschinen in die Debatte der Moralphilosophie aufzunehmen. Nicht, weil diese tatsächliche Emotionalität entwickeln könnten, sondern allein aus dem Grund, dass es den Anschein hat, dass dies Wirklichkeit werden könnte.

Dich interessiert dieses Thema? Dann schau gerne im Quellenverzeichnis vorbei. Dort sind alle Quellen zu den Infos in diesem Blogartikel verlinkt. Für Einsteiger ist insbesondere die Arte-Dokumentation: Verlieren wir die Kontrolle über KI? zu empfehlen.

Zum Kapitel springen Quellenverzeichnis

• Damasio, Antonio R. (1997): Descartes‘ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn.
München: Deutscher Taschenbuchverlag GmbH und Co. KG.

• Gunkel, David J. (2007): Thinking Otherwise. Philosophy, Communication, Technology. West Lafayette, Indiana: Purdue University Press.

• Jütte, Patrick (Regie). (2024): Verlieren wir die Kontrolle über KI? 42- Die Antwort auf fast alles. [Dokumentation].
mobyDOK, NDR und Arte. YouTube: Verlieren wir die Kontrolle über KI? 42- Die Antwort auf fast alles [letzter Zugriff: 19. 10.2025].

• Picard, Rosalind W. (1998): Affective Computing. Cambridge: Massachusetts Institute of Technology.

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